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Ep—01 Säulen

Die Travertinsäulen in Stuttgart Bad Cannstatt: Säulen als Fragmente eines Denkmals und eines Geschenks von Adolf Hitler an Benito Mussolini.

           Denkmäler schlagen mit Hilfe eines assoziativen Bedeutungsraums eine Brücke zu realen Geschehnissen oder Personen. Vorstellungs- oder Erinnerungsgehalte werden durch materielle Darstellungen in öffentlichen Räumen in Form von Statuen, Reiterstandbilder, Monumente, Kriegerdenkmäler, Mahnmäler, Gedenkstätten, Triumphbögen oder auch unterschiedliche Gattungen von Kunst bzw. Kunst im öffentlichen Raum repräsentiert.
           Ab wann wird ein Denkmal zum Denkmal und ab wann ist ein Denkmal kein Denkmal mehr? Wer entscheidet darüber? Denkmäler werden meist aus Werkstoffen gefertigt, die Epochen überdauern. Bedeutet dies, dass ein Denkmal Ideologien aus einer anderen Zeit epochenübergreifend weiterträgt? Ist die materielle Darstellung eines Denkmals immer an die Vermittlung von ideologischen Überlieferungen gekoppelt? Muss sich der Materie entledigt werden, welche in einer Zeit geformt wurde, die für menschenfeindliche politische Zustände stand? Implizieren Denkmäler auch Gebäude und Architektur oder lediglich Reiterstandbilder, Statuen oder Monumente? Sind Straßennamen bereits Denkmäler? Kann die Materie einer vergangenen Epoche mit neuen Ideen beleben werden? Wie formt öffentlicher Diskurs ein Denkmal und wie formt ein Denkmal die Stadt?

           Travertin ist ein Kalkgestein des Pleistozäns und ungefähr 500.000 Jahre alt. Bad Cannstatt galt als eine der bedeutendsten deutschen Abbaustätten für Travertin. Die gelbe Färbung des Cannstatter Travertins ist einzigartig; hervorgerufen durch den hohen Eisengehalt der Stuttgarter Mineralwasservorkommen. Der namentliche Ursprung von Travertin ist auf die Vorkommen in Tivoli bei Rom zurückzuführen: „travertino“ = „Stein aus Tivoli“.            Im Römischen Reich wurde Travertin großflächig als Baustoff genutzt: das Kolosseum in Rom ist eines der bekanntesten Beispiele dieser Epoche. Bis in die Moderne wurde Travertin für die bauliche Nutzung weiterentwickelt. Die Traditionalisten des frühen 20. Jahrhunderts erfreuten sich am monumentalen baulichen Ursprung des Travertingesteins. Daran fanden auch die Nationalsozialisten Gefallen und verwendeten Travertin für eine Vielzahl von Repräsentativbauten. Hier wurde vor allem das gelbe Cannstatter Travertin eingesetzt. Geplant war unter anderem ein Denkmal in der sogenannten „Welthauptstadt Germania“, die in Berlin entstehen sollte. Es war ein Geschenk an Benito Mussolini von Adolf Hitler, dessen Planung die Verbauung von 14 Säulen vorsah. Nach deren Fertigstellung in Stuttgart wurden die 15 Meter hohen Kolossalsäulen in der Neckartalstraße aufgestellt und warteten dort auf ihre Abholung. Die Auslieferung fand nie statt und sie stehen noch immer an derselben Stelle seit 1937.

           Das Arrangement der nach toskanischer Ordnung gestalteten Säulen erscheint im heutigen Kontext grotesk, fast verstörend. Sie stehen in einem Lichthof, der sich konstituiert aus dem Kraftwerk Stuttgart-Münster, einer Müllverwertungsanlage sowie dem ehemaligen Travertinsteinbruch. Dadurch entsteht ein Anachronismus zwischen Postmoderne und monumentalem Neoklassizismus, der nochmals gesteigert wird durch eine vierspurige Straße, Schienenverkehr und einem Tunnel, welcher die Straße und die Scheinen durch das Kraftwerk hindurch in den besagten Lichthof führt. Ebendiese intensive Wirkung auf Passant*innen macht es umso verwunderlicher, dass vor den Travertinsäulen zwar eine Stehle vorzufinden ist, jedoch keinerlei Information darüber, welche Bedeutung dieser Ort besitzt.
           Passant*innen werden alleine gelassen mit unbeantworteten Fragen. Für Stadtplaner*innen wiederum tun sich gerade durch diese Leerstelle neue Möglichkeiten auf. Das Fehlen einer vorformulierten Bedeutung lässt es zu, aktuellen Diskurs in die Auseinandersetzung mit diesem Ort zu integrieren und neue Fragen zu formulieren:
           Wie können Stadtgesellschaften mit solchen Orten umgehen? Dienen sie dem Gedenken oder dem Personen- und Regimekult? Wie können Akzente gesetzt werden, um auf die Bedeutung solcher Orte aufmerksam zu machen? Reichen Informationstafeln aus, oder muss aus dem jeweiligen Ort eine Gedenkstätte werden? Genügen Informationstafeln für eine Deklaration als Gedenkstätte? Die Travertinsäulen stehen unter Denkmalschutz, aber macht sie dieser Umstand überhaupt zum Denkmal? Müssen solche Denkmäler bewahrt werden oder wäre gar ein Abriss sinnvoll?

           Weitere Fragestellungen werden relevant, wenn die Typologie der Säulen hinterfragt wird: Handelt es sich bei den Travertinsäulen überhaupt um ein Denkmal, oder muss von Architektur gesprochen werden? Kann Architektur als entworfener Raum, als Bauwerk oder als Gebäude ebenso Ideen und Ideologien aus einer anderen Zeit vermitteln? Wenn dem so sei, muss dann in gleicher Weise über den Verbleib derer Bedeutungsgehalte diskutiert werden, wie über diejenigen eines Reiterstandbildes oder eines Kriegerdenkmals? Solche typologischen Überlegungen machen deutlich, dass die Travertinsäulen einen Verständigungsrahmen schaffen können, um Unterschiede von Nationalsozialismus und Fragestellungen im Kontext von Kolonialismus aufstellen und verstehen zu können. Dadurch ist die Grundlage für eine Auseinandersetzung darüber greifbar, ob Denkmäler oder Gebäude als Orte der Geschichte fungieren können, oder ob sie lediglich als Repräsentation für Personen- und Regimekult dienlich sind.

           Wird Geschichte geleugnet durch die Zerstörung von Denkmälern? Geschichtsschreibung ist idealerweise wissenschaftlich neutral. Denkmäler sind nach ihrem Wesen niemals neutral. Dargestellt werden Abstraktionen, keine faktische Geschichtsschreibung: Christopher Kolumbus hat 1492 Amerika nicht entdeckt, sondern zufällig gefunden.
           Denkmäler appellieren selten an Tatsachen, sondern eher an Gefühle: Patriotismus, Gemeinschaft, Nationalstolz, Trauer, Furcht, Freude. Könnte eine Einordnung dieser emotionalen Apelle auf Hinweistafeln eine Rolle spielen? Wo liegt der versachlichende Moment, um diese Emotionen zu relativieren? Sind Emotionen vielleicht auch wichtig - gerade bei Denkmälern, die auf schwerwiegende Ereignisse hinweisen, um diese zu verhindern versuchen?
           Ebenso können Abstraktionen innerhalb eines Denkmals, die Macht demonstrieren, Reflexionen um Machtstrukturen von spezifischen Epochen anregen. Inwiefern reichen diese Machtstrukturen bis in die heutige Zeit? Wo und von wem werden solche Strukturen reproduziert mit neuen Bauformen der Repräsentation?

           Max Bächer war deutscher Architekt und Hochschullehrer in Stuttgart und Darmstadt. Architektur und Faschismus waren Kernthemen seines Schaffens.
           Es geht nach Bächer darum stummen Steinen Fragen zu stellen. Daher sprach sich Bächer gegen die Vernichtung von Überresten aus. Zitat Bächers: „Wir müssen Steine befragen, um Geschichte zu entziffern. Wir müssen Spuren aufdecken, um Vergangenheit zu vergegenwärtigen. Wer Spuren vernichtet, fälscht die Geschichte und betrügt die Zukunft. Wer Spuren verfolgt, sucht nach Wahrheit. Wer Spuren sichert, protestiert gegen die Abschaffung von Erinnerung.“
           Bächer befragt nicht direkt die emotionale Wirkung eines Denkmals, sondern seine Materialien, deren Entstehung sowie die Kontexte der Formen: „Wollen wir uns der Geschichte erinnern, können wir von Denkmälern aus Stein und Metall, nicht verlangen, dass sie uns diese Arbeit abnehmen.“ Denkmäler können verstanden werden als Spuren – als Impulse Fragen zu stellen.
           Die Travertinsäulen in Stuttgart Bad Cannstatt bieten ebendiese Möglichkeiten der Spurensuche. Ökonomische und strukturelle Details derer Fertigung sind noch nicht aufgearbeitet, gleichzeitig bietet der Ort um die Säulen mit dessen außergewöhnlicher Ästhetik und Wirkung vielschichtige Möglichkeiten Fragen zu stellen:
           Fragen um die Baustoffverwendung während des Nationalsozialismus, Fragen um die Originalität lokaler Baustoffe, Fragen um Dynamiken des Kapitalismus, der Industrialisierung und der Desindustrialisierung, Fragen um Auseinandersetzungen mit wahrhaftig nachhaltigen Infrastrukturen und Lebensformen. Zentral sollten immer die Fragen nach der Bedeutung und der Kontexte sein, bloße Deklarierungen bringen keinen Mehrwert.